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Die Friedhofsflüsterin

Wenn Anja Kretschmer auf Arbeit geht, trägt sie schwarz. Schwarz, die Farbe des Todes und der Vergänglichkeit. Wenn Anja Kretschmer auf Arbeit geht, ist sie nicht immer Anja Kretschmer. Als schwarze Witwe, entsprungen dem 19. Jahrhundert, entführt sie ihr Publikum in einer andere Zeit, erklärt ihm was Tauben mit dem Tod verbindet, was ein Leichenbitter ist, warum unsere Vorfahren bis zur Beerdigung Wache am Toten hielten … Anja Kretschmers Bühne ist der Friedhof, meist zu fortgeschrittener Stunde, wenn die Dunkelheit allmählich hereinbricht. Sie bietet Erlebnisführungen an, „um Menschen mit ihrer eigenen Sterblichkeit zu konfrontieren und ihnen gleichzeitig die Scheu zu nehmen“, aber auch, um „altes Wissen zu bewahren und aufzeigen wie unsere Vorfahren mit dem Tod gelebt haben“. Als Kunsthistorikerin und Volkskundlerin widmet sie sich dem Friedhof aus historischer Sicht. Und so berichtet sie – ob als schwarze Witwe oder Friedhofsflüsterin – fundiert und sehr unterhaltsam von beinahe vergessenen Riten. „Bräuche entstanden dabei auch durch den regen Aberglaube, wie der Angst vor dem Wiederkehren der Toten oder den Vorzeichen, die der Tod sendet“, erklärt sie. Was Kretschmer zu sagen hat, ist alles andere als gruselig; einiges macht nachdenklich, vieles ermuntern zum Lachen. Die Ernsthaftigkeit des Themas spricht da nicht dagegen.

Kretschmer findet die Auseinandersetzung mit dem Tod wichtig: „Bisher sind noch alle gestorben, auch wenn sie sich nicht mit dem Tod beschäftigen wollten.“ Sie selbst habe sich schon immer für Dinge interessiert, bei denen der Großteil der Menschheit eher wegschaue, sagt sie. Während des Studiums begann sie, sich hintergründiger mit dem Thema zu beschäftigen. Auch vor Kindern sollte man es nicht tabuisieren. Je früher sie sich damit befassten, desto besser.

„Damit geben wir ihnen die Möglichkeit, eben nicht diese Scheu und Angst zu entwickeln, die wir selbst besitzen. Diese Haltung und diese Befürchtungen bestehen in den Erwachsenen, nicht in den Kindern. Wir sollten diese nicht auf sie projizieren, sondern unseren Kindern viel mehr zutrauen.“ Sie selbst hat zwei.

Friedhöfe faszinieren Kretschmer seit jeher. „Dort können wir unseren Ahnen nahe sein, ohne sie gekannt zu haben“, mittlerweile bedürften diese geschichtsträchtige Orte aber eines besonderen Schutzes, denn auch diese Stätten liefen Gefahr ausgemerzt zu werden, sagt sie.

Dass das, was sie tut, nicht bei allen ankommt, weiß Kretschmer wohl. So manch einer quittiert die Ankündigungen ihrer Führungen in Zeitungen, im Internet und auf Plakaten mit: „pietätlos“. „Die lesen die Uhrzeit und finden es sonderbar und dementsprechend unseriös, sind aber nie bei den Führungen dabei. Sie könnten sich ja dort vom Gegenteil überzeugen …“

Kretschmer, die in Rostock lebt, macht nicht nur Führungen. Auch für Vorträge kann man sie buchen. Sie hat ein Wissensfestival ins Leben gerufen. Und Autorin ist sie. Unter der Woche arbeitet sie als Trauerrednerin. Und dann sind da noch die ehrenamtlichen und wissenschaftlichen Arbeiten, die viel Zeit und Herzblut erfordern, zum Beispiel im Wismarer Friedhofsverein.

Dr. Anja Kretschmer
Kunsthistorikerin
Mitglied im VFD

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