Empathie und Offenheit

Die „Würde des Ortes“ – wohl in kaum einem anderen Umfeld spielt sie eine so prägende, wichtige Rolle wie auf dem Friedhof. Als besonders geschützte Räume ermöglichen sie in angemessener Form Trauer zu leben und zu verarbeiten, Erinnerung zu pflegen und wach zu halten. Allein, was mach diese „Würde des Ortes“ aus, was erzeugt sie, was muss man tun, um sie zu erhalten? Wohl jeder Friedhofsverantwortliche hat darauf seine ganz persönlich Sicht, denn jeder Friedhof ist in sich einzigartig.

Allen Friedhöfen gemein aber ist, dass sie sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren sollten, denn die Würde des Ortes ist kein Selbstzweck, sondern ein Rahmen, um zutiefst menschlichen Gefühlen einen sicheren Raum zu bieten. Was wir dabei als angemessen empfinden, hat sich mit dem Zeitgeist immer wieder verändert – nicht zuletzt auch abzulesen an der Gestaltung von Grabmalen. Sie waren immer schon Ausdruck von sich verändernden Geschmacksvorlieben.

In Baden-Württemberg hat jetzt eine Verwaltung das Abräumen einer modernen, auffälligen Grabskulptur gerichtlich erzwungen. In der Begründung des Richters heißt es: „Einer würdigen Bestattung und einem ungestörten Totengedenken stehen auch solche Grabmale entgegen, die aufdringlich, effektheischend oder sonst objektiv geeignet sind, Ärgernis zu erregen und den allgemeinen Friedhofszweck des Totengedenkens zu beeinträchtigen.“  Allerdings: An der beanstandeten Skulptur war nichts Anstößiges oder gar Sittenwidriges, der Stein des Anstoßes war ihre auffällig gelb-orange Farbe.

Friedhofsverwaltende haben den Spagat zu bewältigen, einerseits individuelle Trauer zu ermöglichen, andrerseits aber auch den Schutz des Kulturraums Friedhof und die Regelungen der jeweiligen Friedhofssatzung im Blick zu halten. Dabei sollten wir jedoch die berechtigten Interessen der betroffenen Angehörigen in unsere Entscheidungen einbeziehen, und – wo möglich – auch Einzelfallentscheidung zulassen. Das ist sicherlich nicht immer einfach. Sich dabei an Kritiklern zu orientieren, die anderen Geschmack als „Ärgernis“ empfinden und dazu Gerichtsurteile zu erzwingen, ist sicherlich kein guter Weg. Es gibt fast immer für alle Seiten akzeptable Kompromisse, und diese gilt es auszuloten und zu moderieren. Dazu braucht es vor allem Empathie und Offenheit ­ – und kein Verharren in überholten Friedhofsbildern von gestern.

Die Würde des Ortes zu wahren ist zweifellos eine unserer wichtigsten Aufgaben. Jedem alles zu erlauben ist sicher nicht der richtige Weg. Allerdings dürfen wir die Menschen und die Veränderungen in unserer Gesellschaft nicht übergehen, wenn wir von zeitgemäßer Friedhofsverwaltung sprechen.

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